Immer die Bühne vor Augen von Heinz Gerstinger
 

Wäre Friedrich Ch. Zauner nur Dramatiker und nicht zugleich ein bedeutender Romancier, dürfte man ihn nicht als bloßen Literaten bezeichnen. Zauner ist Theaterdichter, das heißt, er bricht mit einer Tradition, die aus den beiden letzten Jahrhunderten stammt, wonach die Dramatik als eine der drei literarischen Gattungen gilt. Zauner ist Theaterdichter, das heißt, er schreibt Texte für das Theater, beteiligt sich als Autor am Entstehen eines Gesamtkunstwerkes.
Die Dominanz der Dichtung am Theater war eine Erfindung des 18. Jahrhunderts. Das Spektakel, die Kasperliade waren eines aufgeklärten Bürgers unwürdig. Die Schaubühne wurde zur Bildungsstätte. Ihre Aufgabe war es, literarische Werke auf theatrale Weise dem Zuschauer nahe zu bringen. Die Folge war eine völlige Veränderung des sozialen Stellenwertes des Theaters. Statt volkstümlich, wie bisher, wurde die Schaubühne elitär, ein Zustand, der im großen und ganzen bis heute erhalten ist. Daß sich trotzdem ein 'Volkstheater' immer wieder durchgesetzt hat, daß ohne dessen steten Einfluß das elitäre Theater längst nicht mehr lebensfähig wäre, kann keiner leugnen. Frühere Jahrhunderte kannten diese literarische Vorherrschaft nicht. Der Text des Stückes war nur einer der Bausteine, aus denen eine Theatervorstellung aufgebaut wurde, gleichwertig der Musik und der Ausstattung. Medium des Theaters aber war und ist der Schauspieler, so wie das Wort in der Dichtung, die Farbe in der Malerei und der Ton in der Musik. Sprache, Musik und bildende Kunst dienten dem Kunstwerk Theater, was nicht bedeutet, daß nicht dort, wo der Diener zum Meister, Sprache zu echter Dichtung wurde, das Theater seine Sternstunden erlebte und erlebt. Aber neben diesem seltenen Ereignis gab und gibt es das Heer jener Stücke, die, zwar völlig theaterfremd, um ihres literarischen Wertes oder Scheinwertes willen immer wieder gespielt wurden. Sie schufen aus dem elitären Theater mit der Zeit ein langweiliges. Der Bildungseifer des 18. Jahrhunderts wurde zur Bildungspflicht des 19. und endlich zur Bildungsmüdigkeit des 20. Jahrhunderts. Da und dort kam es zu theatralen Revolutionen, die aber zumeist an ihrer eigenen Radikalität zusammenbrachen. Man kann künstlerische Stile und Gewohnheiten nicht bewußt oder mit Gewalt verändern. Das Wachstum der Kunst ist ein organisches. Nicht die Künstler verändern, sondern der Geist oder Ungeist der Zeit verändert die Künstler, die Kunst.
Ob Zauners immer wieder geäußerte Ansicht, der Theaterdichter müsse zu allererst ein Mann des Theaters sein, dem Zug der Zeit entspricht, kann erst die Zukunft beweisen. Zeitlos aber bleibt die Forderung, ein Bühnenautor müsse nicht nur treffende Texte zu schreiben verstehen, sondern auch die Gesetze der Dramaturgie beherrschen. Dafür sind Zauners Dramen vorzügliche Beispiele. Selbst an der Einheit von Zeit und Ort - was vielen heute altmodisch scheinen mag - hält er mit Recht fest.
Bleibt die Frage, die immer wieder gestellt wird, wie weit Künstler vom Zeitgeist geprägt und von wem und welchen Einflüssen sie abhängig sind. Eine gefährliche Frage, läßt sich doch der Beantworter allzuleicht verführen, Verbindungen und Ähnlichkeiten aufzuspüren, weil ein solches Puzzlespiel literarhistorisch Spaß macht.
Unsere Kunst ist nicht aus einem gewaltigen Zeitgeist geboren wie die der Gotik oder des Barock. Unsere Kunst ist das Produkt einzelner. Das geistige Leben unserer Zeit, soweit es nicht von der technischen Forschung okkupiert ist, wird von Gruppen und Grüppchendenken beherrscht: Sekten statt Religionen, Ismen statt Stile in der Kunst. Modisches wird mit Modernem verwechselt, Schickerias werden zu Schiedsrichtern in der Kunst hochstilisiert. Letzte Tendenz: statt zur Gemeinschaft zur Masse. Das Stichwort Massenmedien verrät es.
Auch auf dem Theatersektor die gleiche Verwirrung. Während sich die einen an der gewaltsamen Zerstörung aller Tabus königlich amüsieren, versuchen die anderen mit wissenschaftlicher Akribie das Theater so unverständlich wie nur möglich zu machen und zugleich - Todesgefahr für die Schaubühne - so langweilig wie noch nie.

In diesem Irrgarten geht Friedrich Ch. Zauner den einzig möglichen Weg. Seinen eigenen. Er schreibt keine Stücke, um von Wissenschaftlern interpretiert zu werden. Sein Interpret soll der Schauspieler sein. Das Stück ohne Aufführung bleibt Papier; dies nicht im negativen, sondern im positiven Sinn gemeint. Denn Zauners Sprache bleibt bewußt einfach, aber trifft genau ihr Ziel. Die Dialoge sind knapp, nüchtern. Damit erzeugt er Spannung. Einige Passagen gleichen sprachlichen Stenogrammen. Gesprochen werden sie zu Wortkaskaden, zu musikalischen Eskapaden. (Etwa in seinem Stück "Deserteure", wenn die halbverhungerten Männer sich ein Phantasieessen ausdenken und in Wortstakkatos die Namen ihrer Lieblingsgerichte hintereinander ausrufen). Man muß diese Texte hören, nicht nur lesen.
Inhaltlich und ideell steht jedes Stück für sich. Es fällt schwer, Zauners Werke in einzelne Ideengruppen oder Motive zu ordnen. Von Aussagen hält er nichts. Dem sozialen Trend seiner Autorenkollegen in den vergangenen Jahrzehnten hielt er entgegen: 'Es ist nicht die Aufgabe des Dramatikers, die Welt zu verändern.' Seine Werke wollen kein Programm für die, sondern ein Seismograph der Gesellschaft sein. Ebensowenig hält er von den bei seinen jungen Kollegen so beliebten Schockeffekten, wenn er sagt: 'Man soll Denkanstöße geben, aber die Leute nicht vor den Kopf stoßen, sie von vornherein abstoßen.'
Selbst dem eifrigsten Spurensucher wird es schwer fallen, in Zauners Werken unmittelbare Einflüsse festzustellen. Wie ein erratischer Stein einsam in der Landschaft ruht, bleibt auch er ein Einsamer in unserer Zeit, selbst in seiner Innviertler Heimat, so sehr man besonders bei "Ypsilon" und "Das Joch der Erde" vom Innviertler Zauner gesprochen hat. Daß sich niemand von seiner Heimat, von seinen Ursprüngen vollends trennen kann, ist eine Binsenwahrheit. Doch wenn man in Zauners Werk Einflüsse von Billinger oder Kubin feststellen will, bleibt der Verdacht, ob hier nicht vor allem das Wissen um Herkunft bzw. Wahlheimat der beiden Genannten zu diesem Schluß geführt hat. Und wenn der alte Schauspieler in dem Monologstück "Ypsilon" sagt: 'Das schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle', so ist dies zweifellos zugleich ein Geständnis des Autors, aber muß nicht unbedingt als typisch innviertlerisch ausgelegt werden.
Eine Einteilung der Stücke in verschiedene Gattungen fällt, wie erwähnt, schwer. Da gibt es Stoffe, die ihn zweifellos vor allem wegen ihrer dramatischen Situation gereizt haben. So etwa den des Zweipersonenstückes "Aller Tage Abend", ein Dialog zwischen einem Erblindeten und dessen Lehrerin, die ihm die Blindenschrift beibringen will. Zauner gelingt es, durch dieses Gespräch die beiden Charaktere treffend zu skizzieren. Die plötzliche unerwartete Wende des Stückes zu einer Art Agentenkrimi überrascht, ohne im geringsten aufgesetzt zu wirken. Aus der spannenden Charakterschilderung wird eine spannende Handlung, die rapid und konsequent auf das Ende zusteuert.
Ähnlich das ursprünglich als Hörspiel konzipierte Stück "Reportage". Auch hier ein Stoff, der zu dramaturgischer Bearbeitung reizt, aber zugleich ein Herzensbedürfnis des Autors, die Grausamkeit spektakulärer Medienbosse und ihrer rücksichtslosen Gewinnsucht anprangert.

Wenn nun doch der Versuch unternommen wird, sein Hauptwerk in drei Gruppen zu ordnen, drei Grundmotive zu unterscheiden, so möge dies nur ein Versuch und nicht als feststehende Kategorisierung gewertet werden.

Die erste Gruppe könnte man unter ein böses Motto stellen: 'Denn sie wissen nicht, was sie tun'. Zauner klagt nicht an. Er verurteilt nicht. Er zeichnet auf. Umso tragischer, umso erschütternder das Ergebnis. Die Welt ist böse. Die Bösen triumphieren. Seine bittere Erkenntnis: Nicht Dämonen sind es, die uns zum Bösen verleiten, sondern jene Gabe, jene Begabung, die uns vom Tier unterscheidet, zum Menschen werden ließ, der eigene Verstand. Von dessen Blickwinkel aus ist recht, was wir moralisch unrecht nennen. Manager und Reporter in dem bereits erwähnten Stück "Reportage" wissen genau, daß sie unmoralisch handeln, aber sie 'verstehen' nur das Geschäft. Die Bäuerin in "Das Joch der Erde", ein Stück, dessen erste Fassung in Amerika spielt und auch dort aufgeführt wurde, hat recht, wenn sie durch Betrug und Härte ihr Grundstück erweitert, es gelingt ihr, und der Schluß des Stückes ist ihr Triumph. Die Kinder in Zauners erstem Stück "Spuk" spielen ihre bösen Spiele, während ihre ahnungslosen Eltern auf einer Party sind. Im Grunde sind diese die Schuldigen, weil sie Kinder in die Welt setzen, ohne sich später um sie zu kümmern. In "Kidnapping" ist der Kidnapper, obwohl er sich durch die unerwiderte Liebe zu der Entführten ändert, hoffnungslos der bösen Welt, in diesem Fall der bösen Ordnungsmacht Polizei, ausgeliefert. In "Fiktion" endlich, diesem Science-Fiction-Stück, in dem jedem Menschen in einem bis ins Detail organisierten Zukunftsstaat nur ein bestimmter Zeitraum für sein Leben zugemessen ist, herrscht der Verstand, die Vernunft, bereits so mächtig, daß die Begriffe gut und bös den neuen Generationen gar nicht mehr geläufig sind. Der Staat ist alles; die Abstraktion der Gesellschaft. Das Schicksal wurde vom menschlichen Verstand zur Maschine degradiert. Aber in allen diesen Stücken können die Schatten nur geworfen werden, weil es auch Lichter gibt. Irrlichter freilich nur, aber sie flackern durch die Stücke, gute Menschen, wenn auch auf verlorenen Posten, dennoch Hoffnung.

Das zweite Grundmotiv in Zauners Werk ist mit 'Ritual' zu überschreiben. Das Rituelle nimmt in seinen Arbeiten einen wesentlichen Platz ein.
Unsere Rituale, von den täglichen Handreichungen bis zu den religiösen Bräuchen werden immer sinnentleerter, aber auf seltsame Weise mächtiger, beginnen uns zu beherrschen.
Das Leben des Menschen in der Gesellschaft und als Individuum ist unabänderlich an den Rhythmus der Natur gebunden: Aufgang und Niedergang, Geborenwerden und Sterben, aber auch Töten, um zu leben. Mit dem Erwachen des menschlichen Geistes, mit der Dominanz des Verstandes über den Instinkt und damit verbunden der Schaffung einer eigenen Moral, schien der Mensch mit der Natur in Widerspruch zu geraten. Doch er wagte nicht den Bruch aus Angst, die alten Götter, die er im naturhaften Geschehen zu erkennen glaubte, könnten ihm zürnen. In einem religiösen Brauchtum, das den Rhythmus der Natur auf feierliche Weise wiederholte, nachspielte, hielt er an der alten Einheit fest. Aber unaufhaltsam war der Drang, die Form dieser Bräuche zu vergeistigen, aus barbarischer Wirklichkeit wurde magische Wandlung, zuletzt das bloße Symbol. Was blieb, war die Form, am Ende - die Gewohnheit.
Was uns Zauner auf der Bühne zeigt, erschreckt: das Resultat dieser Entwicklung in unserer Zeit. Einerseits der Rückfall ins Kannibalische, andererseits die völlig Rationalisierung des Lebens, die ihr eigenes Ritual schafft, das hinter der Maske der Vernunft noch tausendmal grausamer als alle Kulte der Vergangenheit ist.
"Kobe Beef": schon im Titel des Stücks ist die Absicht des Autors verborgen, die Grausamkeit unserer Zivilisation aufzudecken. In der japanischen Stadt Kobe werden junge Rinder mit Bier gemästet, geschlachtet und als Delikatesse zu teuersten Preisen an Gourmands verkauft. In "Kobe Beef" zeigt Zauner eine nach außen hin nicht nur heil wirkende, sondern auch eine anscheinend Heil, Heilung bringende Familie, die einen unbekannten Verletzten liebevoll pflegt und den Pfarrer zum Ostermahl einlädt, einem Ostermahl, das aus einem geschlachteten Menschen besteht. Wer immer in dieser Familie sich gegen die Härte dieses Brauchtums auflehnt, wird ebenso barbarisch bestraft. Es ist unsere Welt, die hier am Modell einer 'luxuriösen Villa', in der sich Grauenhaftes abspielt, dargestellt wird. Der Mensch frißt seinen Nächsten in einem rituellen Opfermahl. Kannibalismus verbirgt sich hinter humanitärer Maske.

Wald

Mit "Fiktion" zeigt uns Zauner die andere Form des Rituals von heute. Nicht die Konkretisierung in Mord und Sadismus, sondern die Abstrahierung in eine organisierte Lebensform, die zum Kollektiv und schließlich zur totalen Entindividualisierung führen muß. Kehren die Menschen in "Kobe Beef" zu ihrer eigenen barbarischen Frühzeit zurück, so finden sie in "Fiktion" zum Zustand des Ameisenstaates. Es ist die Geschichte eines alten Mannes, der noch bessere Zeiten erlebt hat, aber auf Grund der neuen Gesetze zu einer bestimmten Zeit abtreten, das heißt, sterben muß. Es ist zweifellos nicht ohne Absicht des Autors, daß die herrschende Generation, die des Sohnes des alten Mannes, diese Regelung als selbstverständlich erkennt und kaum Mitleid empfindet, während die kommende, der Enkel, bereits wieder neugierig ist, wie das Leben in der Jugendzeit des Alten gewesen sein muß, und als einziger diesem in den letzten Tagen seines Daseins wirklich Trost bietet. Vielleicht zeigt Zauner in dieser Figur ausnahmsweise ein kleines Stück Hoffnung, während sein Gesamtwerk kaum anders als pessimistisch gedeutet werden kann: pessimistisch, aber nicht in einem nihilistischen Sinn. Denn daß 'irgendwo' ein Weg verborgen ist, nur verstellt durch das Gestrüpp von Trieben und Gedanken, gibt er zu.
Das Rituelle, in den beiden genannten Stücken beherrschendes Problem, spielt aber auch in anderen Werken Zauners eine wesentliche, nicht zuletzt dramaturgische Rolle. So vor allem in "Deserteure", der Geschichte einer Gruppe versprengter Soldaten verschiedener Nationen, die sich unter Führung eines Idealisten in einer weltentlegenen Unterstandshütte verbergen, um nach dem Krieg, dem sie entflohen sind, eine neue Welt des Friedens und der Brüderlichkeit zu gründen. Aber der Krieg scheint kein Ende zu nehmen, es kommt während der langen Wartezeit unter den Männern zu Querelen und Streitigkeiten. Vergeblich versucht sie ihr Anführer zu beruhigen. Als er selbst keinen Ausweg mehr sieht, erhängt er sich. Vom Hunger gequält wollen die anderen aufgeben, als unerwartet ein Bergsteiger kommt. Von ihm erfahren sie Unglaubliches: daß längst Frieden herrscht, daß wirtschaftlich herrliche Zeiten hereingebrochen sind usw. Sie glauben ihm nicht, bringen ihn um und fressen seinen reichen Proviant auf. Jetzt können sie, wieder gestärkt, auf das, wie sie glauben, Ende des allerletzten aller Kriege warten.
Der Schluß bleibt offen oder besser, das Drama wird sich wiederholen, das Leben selbst gerät zum Ritual vom 'Fressen und Gefressenwerden', unverkennbar eine Rückkehr in das Ursprüngliche, Archaische, wie es Kurt Becsi, der Herausgeber einer Sammlung Zauner'scher Dramen, nennt. Aber auch einzelne Szenen zeigen rituelle Handlungen, den Agierenden unbewußt, wie etwa das Singen eines gemeinsamen Liedes. Hier ist es der Rhythmus der Musik, der, nicht nur in dem Stück "Deserteure", die Macht hat, aus Uneinigen wenigstens für die Dauer des Gesanges Einige zu schaffen. Auch die Scheinfolterszene, in der dem vergeblichen Ausreißer Efr vorgespielt wird, was mit ihm geschehen wäre, wäre er unten im Tal erwischt worden, erinnert an die konsequente Bestrafung derjenigen, die die geheiligten Formen eines Rituals durchbrechen. Weitaus unmittelbarer kommt dies in "Kobe Beef" zum Ausdruck, wo die jüngere Tochter, die den zum Opfer bestimmten Jüngling retten wollte, von Mutter und Schwester ausgepeitscht wird.

"Deserteure" sind aber vor allem Beispiel für eine dritte Problematik, um die es in Zauners Stücken geht: Um die verpaßte Chance, das Warten ... auf Godot. Ja, man darf dies ohne weiteres so nennen, ohne dem Autor damit eine Abhängigkeit von diesem Klassiker unseres Jahrhunderts vorzuwerfen. Nicht einmal von Einfluß kann die Rede sein. Das Motiv des Wartens war und ist ein Grundmotiv unseres Jahrhunderts, nicht nur in der Dichtung, wo es bereits bei Kafka zum Prinzip wird, um in Becketts Komödie die Ratlosigkeit unserer Zeit endgültig zu dokumentieren. Auch "Deserteure" ist ein Drama des vergeblichen Wartens. Der Idealist, der die anderen ins gelobte Land führen will, wird zum Selbstmörder, während diese anderen, einfache, ahnungslose Menschen, weiter warten. Sie werden nur unruhig, wenn sie nichts zu essen haben, kaum gesättigt, warten sie ruhig weiter, besser - vegetieren sie weiter. Daß sie ihre Chance verpaßt haben, daß längst kein Krieg mehr ist, wollen sie nicht wahrhaben. Wohl bleibt ihr Ziel das Reich des Friedens, von dem ihr Anführer gesprochen hat, aber im Grunde haben sie keine wirkliche Vorstellung von jener Welt, auf die sie warten.
Auch Ypsilon in dem gleichnamigen Einpersonenstück, der alte Schauspieler, der sich in ein einsames Schloß zurückgezogen hat, wartet im Grunde immer noch auf seine große Chance (warten wir nicht alle darauf, ohne es uns zuzugeben?), aber es ist zu spät. Daß seine Zeit vorüber ist, sieht er nicht ein.
Mit diesem Stück "Ypsilon" durchbricht Zauner die nüchterne, distanzierte Form, die bei aller Dramatik und Spannung für seine Bühnenstücke charakteristisch ist. (Am wenigsten in "Kidnapping", dem einzigen Stück des Autors, in dem Liebe eine dominierende Rolle spielt). "Ypsilon" ist ein poetisches Stück, verrät, daß hier nicht nur ein guter Dramatiker, sondern auch ein Dichter am Werk ist. Wie bereits anfangs erwähnt, ist "Ypsilon" jenes Stück, bei dem man am ehesten von Einflüssen der heimischen Landschaft sprechen könnte. Zauners 'Brechung der Realität', der plötzliche übergang vom Realen ins Irreale, verschmilzt hier mit der Schilderung einer langsamen Entwicklung ins Lyrisch-Epische. Immer entrückter wird für den Alten die wirkliche Welt. Der 'Vergessene', sein eigenes Ich, wird zum unsichtbaren Gegenspieler, den er erlösen will.
'Wir sind nicht gewohnt Dinge zu glauben, die wir nicht begreifen', läßt der Dichter den Alten sagen, und weiter: 'Wir schieben alles von uns weg, was nicht in unsere fade materialistische Welt paßt und tun so, als gäbe es nichts außerhalb unserer Wahrnehmung. Das schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle'. Mit diesem Zitat bekennt sich ein Dichter, der das Leben der Menschen auf dieser Welt mit großer Skepsis kritisch betrachtet, zu einer besseren Gegenwelt.
Daß der ehemalige Lehrer und mehrfache Familienvater Zauner ein besonderes Interesse für das Seelenleben von Kindern hat, ist selbstverständlich. Seine 'Kinderstücke', teils über, teils für Kinder, sind deshalb durchaus zu seinen Hauptwerken zu zählen. "Spuk", sein erster Erfolg, ist ein Versuch, die Situation zweier pubertierender Mädchen in einem 'Wirtschaftswunderhaus' - das heißt mit Eltern, die alles, nur nicht ihr Herz den Kindern schenken - mit drastischen Mitteln darzustellen. "Von draußen rein" ist als Stück für Kinder gedacht. Auch hier ist der übergang vom Realen ins Irreale, besser gesagt, das Ineinandergehen der beiden Welten, dramaturgisch trefflich gelöst. Kinder finden dabei nichts Absonderliches. Auch das Stück "Menschenskinder" spielt in einem Haus Wohlhabender, doch sind die Kinder Waisen. Die drei Geschwister wurden mit besonderer Liebe gestaltet, sie beherrschen die Szene, und wenn sie zuletzt ihren Willen durchsetzen und ihre Ziehmutter selbst wählen, bleibt dies zwar in der Realität ein offener Schluß, wartet doch bereits der Beamte der Erziehungsbehörde vor dem Tor, doch freut sich der Zuschauer mit den Kindern über ihren - augenblicklichen - Triumph.

Zauners Theaterwelt ist eine Welt für sich. So wie er Cliquenbildung unter Künstlern haßt, ist auch sein Werk nirgends einzureihen. Ein Außenseiter, der aber mittendrin steht. Mit diesem Paradoxon ist er gekennzeichnet. Seine Stücke haben etwas Rauhes, aber zugleich Geheimnisvolles, loten Tiefen aus, deren wir uns nicht mehr bewußt waren. Hinter kühler Realität verbergen sich Dämonen, mag man sie heutzutage auch als Energien titulieren, es sind dieselben, die unsere Vorväter durch Riten zu befriedigen suchten und aus deren Bann wir uns bisher nicht befreien konnten. Zauner läßt wenig Raum für Hoffnung. Die Bösen dominieren zumeist in seinen Werken, und nur ab und zu bringen ein Außenseiter oder eine Außenseiterin Licht in das Dunkel seiner Seelenlandschaften.
Warten, ohne Wissen worauf, Weitergehen, ohne Wissen wohin, das sind die tragischen Grundkomponenten von Zauners Werk. Zeugnisse einer glaubenslosen Zeit? Oder besser, Zeugnisse einer Zeit des Irrglaubens? Denn der Glaube an die Wirklichkeit materiellen Wohlstands herrscht heute ebenso wie der Glaube an Abstruses und Okkultes. Das eine gebiert das andere. Das große Fressen wird zum Ritual und umgekehrt. Damit deckt Zauner Zusammenhänge auf, Zusammenhänge zwischen materialistischer Lebensauffassung und esoterischem Wunschdenken.
Daß seine Stücke bei allem Erfolg, den sie bisher im In- und Ausland erreicht haben, auf den großen Wiener Bühnen nur selten gespielt wurden, hat zweifellos seinen Grund in der erwähnten Außenseiterrolle des Autors. Ihm fehlt die Stütze, er steht allein. Und das besagt viel hierzulande und heute. Zauner will kein Propagandist und kein Prophet sein. Nur aufzeigen, was geschieht. Und bei der in unserer Zeit verbreiteten Angst vor allem Pathetischen, ist seine nüchterne Art vielleicht die bessere Wegmarke als jede Form von Lehre oder Programm.


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