Wäre Friedrich Ch. Zauner nur Dramatiker
und nicht zugleich ein bedeutender Romancier, dürfte man
ihn nicht als bloßen Literaten bezeichnen. Zauner ist Theaterdichter,
das heißt, er bricht mit einer Tradition, die aus den beiden
letzten Jahrhunderten stammt, wonach die Dramatik als eine der
drei literarischen Gattungen gilt. Zauner ist Theaterdichter,
das heißt, er schreibt Texte für das Theater, beteiligt
sich als Autor am Entstehen eines Gesamtkunstwerkes.
Die Dominanz der Dichtung am Theater war eine Erfindung des 18.
Jahrhunderts. Das Spektakel, die Kasperliade waren eines aufgeklärten
Bürgers unwürdig. Die Schaubühne wurde zur Bildungsstätte.
Ihre Aufgabe war es, literarische Werke auf theatrale Weise dem
Zuschauer nahe zu bringen. Die Folge war eine völlige Veränderung
des sozialen Stellenwertes des Theaters. Statt volkstümlich,
wie bisher, wurde die Schaubühne elitär, ein Zustand,
der im großen und ganzen bis heute erhalten ist. Daß
sich trotzdem ein 'Volkstheater' immer wieder durchgesetzt hat,
daß ohne dessen steten Einfluß das elitäre Theater
längst nicht mehr lebensfähig wäre, kann keiner
leugnen. Frühere Jahrhunderte kannten diese literarische
Vorherrschaft nicht. Der Text des Stückes war nur einer der
Bausteine, aus denen eine Theatervorstellung aufgebaut wurde,
gleichwertig der Musik und der Ausstattung. Medium des Theaters
aber war und ist der Schauspieler, so wie das Wort in der Dichtung,
die Farbe in der Malerei und der Ton in der Musik. Sprache, Musik
und bildende Kunst dienten dem Kunstwerk Theater, was nicht bedeutet,
daß nicht dort, wo der Diener zum Meister, Sprache zu echter
Dichtung wurde, das Theater seine Sternstunden erlebte und erlebt.
Aber neben diesem seltenen Ereignis gab und gibt es das Heer jener
Stücke, die, zwar völlig theaterfremd, um ihres literarischen
Wertes oder Scheinwertes willen immer wieder gespielt wurden.
Sie schufen aus dem elitären Theater mit der Zeit ein langweiliges.
Der Bildungseifer des 18. Jahrhunderts wurde zur Bildungspflicht
des 19. und endlich zur Bildungsmüdigkeit des 20. Jahrhunderts.
Da und dort kam es zu theatralen Revolutionen, die aber zumeist
an ihrer eigenen Radikalität zusammenbrachen. Man kann künstlerische
Stile und Gewohnheiten nicht bewußt oder mit Gewalt verändern.
Das Wachstum der Kunst ist ein organisches. Nicht die Künstler
verändern, sondern der Geist oder Ungeist der Zeit verändert
die Künstler, die Kunst.
Ob Zauners immer wieder geäußerte Ansicht, der Theaterdichter
müsse zu allererst ein Mann des Theaters sein, dem Zug der
Zeit entspricht, kann erst die Zukunft beweisen. Zeitlos aber
bleibt die Forderung, ein Bühnenautor müsse nicht nur
treffende Texte zu schreiben verstehen, sondern auch die Gesetze
der Dramaturgie beherrschen. Dafür sind Zauners Dramen vorzügliche
Beispiele. Selbst an der Einheit von Zeit und Ort - was vielen
heute altmodisch scheinen mag - hält er mit Recht fest.
Bleibt die Frage, die immer wieder gestellt wird, wie weit Künstler
vom Zeitgeist geprägt und von wem und welchen Einflüssen
sie abhängig sind. Eine gefährliche Frage, läßt
sich doch der Beantworter allzuleicht verführen, Verbindungen
und Ähnlichkeiten aufzuspüren, weil ein solches Puzzlespiel
literarhistorisch Spaß macht.
Unsere Kunst ist nicht aus einem gewaltigen Zeitgeist geboren
wie die der Gotik oder des Barock. Unsere Kunst ist das Produkt
einzelner. Das geistige Leben unserer Zeit, soweit es nicht von
der technischen Forschung okkupiert ist, wird von Gruppen und
Grüppchendenken beherrscht: Sekten statt Religionen, Ismen
statt Stile in der Kunst. Modisches wird mit Modernem verwechselt,
Schickerias werden zu Schiedsrichtern in der Kunst hochstilisiert.
Letzte Tendenz: statt zur Gemeinschaft zur Masse. Das Stichwort
Massenmedien verrät es.
Auch auf dem Theatersektor die gleiche Verwirrung. Während
sich die einen an der gewaltsamen Zerstörung aller Tabus
königlich amüsieren, versuchen die anderen mit wissenschaftlicher
Akribie das Theater so unverständlich wie nur möglich
zu machen und zugleich - Todesgefahr für die Schaubühne
- so langweilig wie noch nie.
In diesem Irrgarten geht Friedrich Ch. Zauner
den einzig möglichen Weg. Seinen eigenen. Er schreibt keine
Stücke, um von Wissenschaftlern interpretiert zu werden.
Sein Interpret soll der Schauspieler sein. Das Stück ohne
Aufführung bleibt Papier; dies nicht im negativen, sondern
im positiven Sinn gemeint. Denn Zauners Sprache bleibt bewußt
einfach, aber trifft genau ihr Ziel. Die Dialoge sind knapp, nüchtern.
Damit erzeugt er Spannung. Einige Passagen gleichen sprachlichen
Stenogrammen. Gesprochen werden sie zu Wortkaskaden, zu musikalischen
Eskapaden. (Etwa in seinem Stück "Deserteure", wenn die halbverhungerten
Männer sich ein Phantasieessen ausdenken und in Wortstakkatos
die Namen ihrer Lieblingsgerichte hintereinander ausrufen). Man
muß diese Texte hören, nicht nur lesen.
Inhaltlich und ideell steht jedes Stück für sich. Es
fällt schwer, Zauners Werke in einzelne Ideengruppen oder
Motive zu ordnen. Von Aussagen hält er nichts. Dem sozialen
Trend seiner Autorenkollegen in den vergangenen Jahrzehnten hielt
er entgegen: 'Es ist nicht die Aufgabe des Dramatikers, die Welt
zu verändern.' Seine Werke wollen kein Programm für
die, sondern ein Seismograph der Gesellschaft sein. Ebensowenig
hält er von den bei seinen jungen Kollegen so beliebten Schockeffekten,
wenn er sagt: 'Man soll Denkanstöße geben, aber die
Leute nicht vor den Kopf stoßen, sie von vornherein abstoßen.'
Selbst dem eifrigsten Spurensucher wird es schwer fallen, in Zauners
Werken unmittelbare Einflüsse festzustellen. Wie ein erratischer
Stein einsam in der Landschaft ruht, bleibt auch er ein Einsamer
in unserer Zeit, selbst in seiner Innviertler Heimat, so sehr
man besonders bei "Ypsilon" und "Das Joch der Erde" vom Innviertler
Zauner gesprochen hat. Daß sich niemand von seiner Heimat,
von seinen Ursprüngen vollends trennen kann, ist eine Binsenwahrheit.
Doch wenn man in Zauners Werk Einflüsse von Billinger oder
Kubin feststellen will, bleibt der Verdacht, ob hier nicht vor
allem das Wissen um Herkunft bzw. Wahlheimat der beiden Genannten
zu diesem Schluß geführt hat. Und wenn der alte Schauspieler
in dem Monologstück "Ypsilon" sagt: 'Das schönste, was
wir erleben können, ist das Geheimnisvolle', so ist dies
zweifellos zugleich ein Geständnis des Autors, aber muß
nicht unbedingt als typisch innviertlerisch ausgelegt werden.
Eine Einteilung der Stücke in verschiedene Gattungen fällt,
wie erwähnt, schwer. Da gibt es Stoffe, die ihn zweifellos
vor allem wegen ihrer dramatischen Situation gereizt haben. So
etwa den des Zweipersonenstückes "Aller Tage Abend", ein
Dialog zwischen einem Erblindeten und dessen Lehrerin, die ihm
die Blindenschrift beibringen will. Zauner gelingt es, durch dieses
Gespräch die beiden Charaktere treffend zu skizzieren. Die
plötzliche unerwartete Wende des Stückes zu einer Art
Agentenkrimi überrascht, ohne im geringsten aufgesetzt zu
wirken. Aus der spannenden Charakterschilderung wird eine spannende
Handlung, die rapid und konsequent auf das Ende zusteuert.
Ähnlich das ursprünglich als Hörspiel konzipierte
Stück "Reportage". Auch hier ein Stoff, der zu dramaturgischer
Bearbeitung reizt, aber zugleich ein Herzensbedürfnis des
Autors, die Grausamkeit spektakulärer Medienbosse und ihrer
rücksichtslosen Gewinnsucht anprangert.
Wenn nun doch der Versuch unternommen wird, sein
Hauptwerk in drei Gruppen zu ordnen, drei Grundmotive zu unterscheiden,
so möge dies nur ein Versuch und nicht als feststehende Kategorisierung
gewertet werden.
Die erste Gruppe könnte man unter ein böses
Motto stellen: 'Denn sie wissen nicht, was sie tun'. Zauner klagt
nicht an. Er verurteilt nicht. Er zeichnet auf. Umso tragischer,
umso erschütternder das Ergebnis. Die Welt ist böse.
Die Bösen triumphieren. Seine bittere Erkenntnis: Nicht Dämonen
sind es, die uns zum Bösen verleiten, sondern jene Gabe,
jene Begabung, die uns vom Tier unterscheidet, zum Menschen werden
ließ, der eigene Verstand. Von dessen Blickwinkel aus ist
recht, was wir moralisch unrecht nennen. Manager und Reporter
in dem bereits erwähnten Stück "Reportage" wissen genau,
daß sie unmoralisch handeln, aber sie 'verstehen' nur das
Geschäft. Die Bäuerin in "Das Joch der Erde", ein Stück,
dessen erste Fassung in Amerika spielt und auch dort aufgeführt
wurde, hat recht, wenn sie durch Betrug und Härte ihr Grundstück
erweitert, es gelingt ihr, und der Schluß des Stückes
ist ihr Triumph. Die Kinder in Zauners erstem Stück "Spuk"
spielen ihre bösen Spiele, während ihre ahnungslosen
Eltern auf einer Party sind. Im Grunde sind diese die Schuldigen,
weil sie Kinder in die Welt setzen, ohne sich später um sie
zu kümmern. In "Kidnapping" ist der Kidnapper, obwohl er
sich durch die unerwiderte Liebe zu der Entführten ändert,
hoffnungslos der bösen Welt, in diesem Fall der bösen
Ordnungsmacht Polizei, ausgeliefert. In "Fiktion" endlich, diesem
Science-Fiction-Stück, in dem jedem Menschen in einem bis
ins Detail organisierten Zukunftsstaat nur ein bestimmter Zeitraum
für sein Leben zugemessen ist, herrscht der Verstand, die
Vernunft, bereits so mächtig, daß die Begriffe gut
und bös den neuen Generationen gar nicht mehr geläufig
sind. Der Staat ist alles; die Abstraktion der Gesellschaft. Das
Schicksal wurde vom menschlichen Verstand zur Maschine degradiert.
Aber in allen diesen Stücken können die Schatten nur
geworfen werden, weil es auch Lichter gibt. Irrlichter freilich
nur, aber sie flackern durch die Stücke, gute Menschen, wenn
auch auf verlorenen Posten, dennoch Hoffnung.
Das zweite Grundmotiv in Zauners Werk ist mit
'Ritual' zu überschreiben. Das Rituelle nimmt in seinen Arbeiten
einen wesentlichen Platz ein.
Unsere Rituale, von den täglichen Handreichungen bis zu den
religiösen Bräuchen werden immer sinnentleerter, aber
auf seltsame Weise mächtiger, beginnen uns zu beherrschen.
Das Leben des Menschen in der Gesellschaft und als Individuum
ist unabänderlich an den Rhythmus der Natur gebunden: Aufgang
und Niedergang, Geborenwerden und Sterben, aber auch Töten,
um zu leben. Mit dem Erwachen des menschlichen Geistes, mit der
Dominanz des Verstandes über den Instinkt und damit verbunden
der Schaffung einer eigenen Moral, schien der Mensch mit der Natur
in Widerspruch zu geraten. Doch er wagte nicht den Bruch aus Angst,
die alten Götter, die er im naturhaften Geschehen zu erkennen
glaubte, könnten ihm zürnen. In einem religiösen
Brauchtum, das den Rhythmus der Natur auf feierliche Weise wiederholte,
nachspielte, hielt er an der alten Einheit fest. Aber unaufhaltsam
war der Drang, die Form dieser Bräuche zu vergeistigen, aus
barbarischer Wirklichkeit wurde magische Wandlung, zuletzt das
bloße Symbol. Was blieb, war die Form, am Ende - die Gewohnheit.
Was uns Zauner auf der Bühne zeigt, erschreckt: das Resultat
dieser Entwicklung in unserer Zeit. Einerseits der Rückfall
ins Kannibalische, andererseits die völlig Rationalisierung
des Lebens, die ihr eigenes Ritual schafft, das hinter der Maske
der Vernunft noch tausendmal grausamer als alle Kulte der Vergangenheit
ist.
"Kobe Beef": schon im Titel des Stücks ist die Absicht des
Autors verborgen, die Grausamkeit unserer Zivilisation aufzudecken.
In der japanischen Stadt Kobe werden junge Rinder mit Bier gemästet,
geschlachtet und als Delikatesse zu teuersten Preisen an Gourmands
verkauft. In "Kobe Beef" zeigt Zauner eine nach außen hin
nicht nur heil wirkende, sondern auch eine anscheinend Heil, Heilung
bringende Familie, die einen unbekannten Verletzten liebevoll
pflegt und den Pfarrer zum Ostermahl einlädt, einem Ostermahl,
das aus einem geschlachteten Menschen besteht. Wer immer in dieser
Familie sich gegen die Härte dieses Brauchtums auflehnt,
wird ebenso barbarisch bestraft. Es ist unsere Welt, die hier
am Modell einer 'luxuriösen Villa', in der sich Grauenhaftes
abspielt, dargestellt wird. Der Mensch frißt seinen Nächsten
in einem rituellen Opfermahl. Kannibalismus verbirgt sich hinter
humanitärer Maske.
Mit "Fiktion" zeigt uns Zauner die andere Form
des Rituals von heute. Nicht die Konkretisierung in Mord und Sadismus,
sondern die Abstrahierung in eine organisierte Lebensform, die
zum Kollektiv und schließlich zur totalen Entindividualisierung
führen muß. Kehren die Menschen in "Kobe Beef" zu ihrer
eigenen barbarischen Frühzeit zurück, so finden sie
in "Fiktion" zum Zustand des Ameisenstaates. Es ist die Geschichte
eines alten Mannes, der noch bessere Zeiten erlebt hat, aber auf
Grund der neuen Gesetze zu einer bestimmten Zeit abtreten, das
heißt, sterben muß. Es ist zweifellos nicht ohne Absicht
des Autors, daß die herrschende Generation, die des Sohnes
des alten Mannes, diese Regelung als selbstverständlich erkennt
und kaum Mitleid empfindet, während die kommende, der Enkel,
bereits wieder neugierig ist, wie das Leben in der Jugendzeit
des Alten gewesen sein muß, und als einziger diesem in den
letzten Tagen seines Daseins wirklich Trost bietet. Vielleicht
zeigt Zauner in dieser Figur ausnahmsweise ein kleines Stück
Hoffnung, während sein Gesamtwerk kaum anders als pessimistisch
gedeutet werden kann: pessimistisch, aber nicht in einem nihilistischen
Sinn. Denn daß 'irgendwo' ein Weg verborgen ist, nur verstellt
durch das Gestrüpp von Trieben und Gedanken, gibt er zu.
Das Rituelle, in den beiden genannten Stücken beherrschendes
Problem, spielt aber auch in anderen Werken Zauners eine wesentliche,
nicht zuletzt dramaturgische Rolle. So vor allem in "Deserteure",
der Geschichte einer Gruppe versprengter Soldaten verschiedener
Nationen, die sich unter Führung eines Idealisten in einer
weltentlegenen Unterstandshütte verbergen, um nach dem Krieg,
dem sie entflohen sind, eine neue Welt des Friedens und der Brüderlichkeit
zu gründen. Aber der Krieg scheint kein Ende zu nehmen, es
kommt während der langen Wartezeit unter den Männern
zu Querelen und Streitigkeiten. Vergeblich versucht sie ihr Anführer
zu beruhigen. Als er selbst keinen Ausweg mehr sieht, erhängt
er sich. Vom Hunger gequält wollen die anderen aufgeben,
als unerwartet ein Bergsteiger kommt. Von ihm erfahren sie Unglaubliches:
daß längst Frieden herrscht, daß wirtschaftlich
herrliche Zeiten hereingebrochen sind usw. Sie glauben ihm nicht,
bringen ihn um und fressen seinen reichen Proviant auf. Jetzt
können sie, wieder gestärkt, auf das, wie sie glauben,
Ende des allerletzten aller Kriege warten.
Der Schluß bleibt offen oder besser, das Drama wird sich
wiederholen, das Leben selbst gerät zum Ritual vom 'Fressen
und Gefressenwerden', unverkennbar eine Rückkehr in das Ursprüngliche,
Archaische, wie es Kurt Becsi, der Herausgeber einer Sammlung
Zauner'scher Dramen, nennt. Aber auch einzelne Szenen zeigen rituelle
Handlungen, den Agierenden unbewußt, wie etwa das Singen
eines gemeinsamen Liedes. Hier ist es der Rhythmus der Musik,
der, nicht nur in dem Stück "Deserteure", die Macht hat,
aus Uneinigen wenigstens für die Dauer des Gesanges Einige
zu schaffen. Auch die Scheinfolterszene, in der dem vergeblichen
Ausreißer Efr vorgespielt wird, was mit ihm geschehen wäre,
wäre er unten im Tal erwischt worden, erinnert an die konsequente
Bestrafung derjenigen, die die geheiligten Formen eines Rituals
durchbrechen. Weitaus unmittelbarer kommt dies in "Kobe Beef"
zum Ausdruck, wo die jüngere Tochter, die den zum Opfer bestimmten
Jüngling retten wollte, von Mutter und Schwester ausgepeitscht
wird.
"Deserteure" sind aber vor allem Beispiel für
eine dritte Problematik, um die es in Zauners Stücken geht:
Um die verpaßte Chance, das Warten ... auf Godot. Ja, man
darf dies ohne weiteres so nennen, ohne dem Autor damit eine Abhängigkeit
von diesem Klassiker unseres Jahrhunderts vorzuwerfen. Nicht einmal
von Einfluß kann die Rede sein. Das Motiv des Wartens war
und ist ein Grundmotiv unseres Jahrhunderts, nicht nur in der
Dichtung, wo es bereits bei Kafka zum Prinzip wird, um in Becketts
Komödie die Ratlosigkeit unserer Zeit endgültig zu dokumentieren.
Auch "Deserteure" ist ein Drama des vergeblichen Wartens. Der
Idealist, der die anderen ins gelobte Land führen will, wird
zum Selbstmörder, während diese anderen, einfache, ahnungslose
Menschen, weiter warten. Sie werden nur unruhig, wenn sie nichts
zu essen haben, kaum gesättigt, warten sie ruhig weiter,
besser - vegetieren sie weiter. Daß sie ihre Chance verpaßt
haben, daß längst kein Krieg mehr ist, wollen sie nicht
wahrhaben. Wohl bleibt ihr Ziel das Reich des Friedens, von dem
ihr Anführer gesprochen hat, aber im Grunde haben sie keine
wirkliche Vorstellung von jener Welt, auf die sie warten.
Auch Ypsilon in dem gleichnamigen Einpersonenstück, der alte
Schauspieler, der sich in ein einsames Schloß zurückgezogen
hat, wartet im Grunde immer noch auf seine große Chance
(warten wir nicht alle darauf, ohne es uns zuzugeben?), aber es
ist zu spät. Daß seine Zeit vorüber ist, sieht
er nicht ein.
Mit diesem Stück "Ypsilon" durchbricht Zauner die nüchterne,
distanzierte Form, die bei aller Dramatik und Spannung für
seine Bühnenstücke charakteristisch ist. (Am wenigsten
in "Kidnapping", dem einzigen Stück des Autors, in dem Liebe
eine dominierende Rolle spielt). "Ypsilon" ist ein poetisches
Stück, verrät, daß hier nicht nur ein guter Dramatiker,
sondern auch ein Dichter am Werk ist. Wie bereits anfangs erwähnt,
ist "Ypsilon" jenes Stück, bei dem man am ehesten von Einflüssen
der heimischen Landschaft sprechen könnte. Zauners 'Brechung
der Realität', der plötzliche übergang vom Realen
ins Irreale, verschmilzt hier mit der Schilderung einer langsamen
Entwicklung ins Lyrisch-Epische. Immer entrückter wird für
den Alten die wirkliche Welt. Der 'Vergessene', sein eigenes Ich,
wird zum unsichtbaren Gegenspieler, den er erlösen will.
'Wir sind nicht gewohnt Dinge zu glauben, die wir nicht begreifen',
läßt der Dichter den Alten sagen, und weiter: 'Wir
schieben alles von uns weg, was nicht in unsere fade materialistische
Welt paßt und tun so, als gäbe es nichts außerhalb
unserer Wahrnehmung. Das schönste, was wir erleben können,
ist das Geheimnisvolle'. Mit diesem Zitat bekennt sich ein Dichter,
der das Leben der Menschen auf dieser Welt mit großer Skepsis
kritisch betrachtet, zu einer besseren Gegenwelt.
Daß der ehemalige Lehrer und mehrfache Familienvater Zauner
ein besonderes Interesse für das Seelenleben von Kindern
hat, ist selbstverständlich. Seine 'Kinderstücke', teils
über, teils für Kinder, sind deshalb durchaus zu seinen
Hauptwerken zu zählen. "Spuk", sein erster Erfolg, ist ein
Versuch, die Situation zweier pubertierender Mädchen in einem
'Wirtschaftswunderhaus' - das heißt mit Eltern, die alles,
nur nicht ihr Herz den Kindern schenken - mit drastischen Mitteln
darzustellen. "Von draußen rein" ist als Stück für
Kinder gedacht. Auch hier ist der übergang vom Realen ins
Irreale, besser gesagt, das Ineinandergehen der beiden Welten,
dramaturgisch trefflich gelöst. Kinder finden dabei nichts
Absonderliches. Auch das Stück "Menschenskinder" spielt in
einem Haus Wohlhabender, doch sind die Kinder Waisen. Die drei
Geschwister wurden mit besonderer Liebe gestaltet, sie beherrschen
die Szene, und wenn sie zuletzt ihren Willen durchsetzen und ihre
Ziehmutter selbst wählen, bleibt dies zwar in der Realität
ein offener Schluß, wartet doch bereits der Beamte der Erziehungsbehörde
vor dem Tor, doch freut sich der Zuschauer mit den Kindern über
ihren - augenblicklichen - Triumph.
Zauners Theaterwelt ist eine Welt für sich.
So wie er Cliquenbildung unter Künstlern haßt, ist
auch sein Werk nirgends einzureihen. Ein Außenseiter, der
aber mittendrin steht. Mit diesem Paradoxon ist er gekennzeichnet.
Seine Stücke haben etwas Rauhes, aber zugleich Geheimnisvolles,
loten Tiefen aus, deren wir uns nicht mehr bewußt waren.
Hinter kühler Realität verbergen sich Dämonen,
mag man sie heutzutage auch als Energien titulieren, es sind dieselben,
die unsere Vorväter durch Riten zu befriedigen suchten und
aus deren Bann wir uns bisher nicht befreien konnten. Zauner läßt
wenig Raum für Hoffnung. Die Bösen dominieren zumeist
in seinen Werken, und nur ab und zu bringen ein Außenseiter
oder eine Außenseiterin Licht in das Dunkel seiner Seelenlandschaften.
Warten, ohne Wissen worauf, Weitergehen, ohne Wissen wohin, das
sind die tragischen Grundkomponenten von Zauners Werk. Zeugnisse
einer glaubenslosen Zeit? Oder besser, Zeugnisse einer Zeit des
Irrglaubens? Denn der Glaube an die Wirklichkeit materiellen Wohlstands
herrscht heute ebenso wie der Glaube an Abstruses und Okkultes.
Das eine gebiert das andere. Das große Fressen wird zum
Ritual und umgekehrt. Damit deckt Zauner Zusammenhänge auf,
Zusammenhänge zwischen materialistischer Lebensauffassung
und esoterischem Wunschdenken.
Daß seine Stücke bei allem Erfolg, den sie bisher im
In- und Ausland erreicht haben, auf den großen Wiener Bühnen
nur selten gespielt wurden, hat zweifellos seinen Grund in der
erwähnten Außenseiterrolle des Autors. Ihm fehlt die
Stütze, er steht allein. Und das besagt viel hierzulande
und heute. Zauner will kein Propagandist und kein Prophet sein.
Nur aufzeigen, was geschieht. Und bei der in unserer Zeit verbreiteten
Angst vor allem Pathetischen, ist seine nüchterne Art vielleicht
die bessere Wegmarke als jede Form von Lehre oder Programm.